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eine anarchistische einführung in föderierte soziale medien

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In aller Kürze

Viele Anarchist:innen nutzen, wohl oder übel, soziale Medien wie Twitter, Instagram und Facebook. Das ist Mist. Es existiert allerdings ein alternatives, open-source Netzwerk sozialer Medien, das an anarchistischen Werten ausgerichtet ist – das Fediverse. Anstatt eines Aufmerksamkeit und Daten einsaugenden kapitalistischen Strudels, ist das Fediverse ein tatsächliches soziales Netzwerk, welches aus einer Vielzahl dezentraler, autonomer, föderierter Server (sog. Instanzen) besteht. Im Fediverse kontrollieren wir die Infrastruktur und moderieren selbst unsere Räume. Anstatt durch süchtig-machende Algorithmen geleitet zu werden, können wir uns hier auf Basis unserer (eigenen) Neigungen, Wünsche und Bedürfnisse versammeln und Dinge miteinander teilen. Viele Anarchist:innen, die versuchen den Fallen der großen kommerziellen Social Media Plattformen aus dem Weg zu gehen, sind bereits hier und teilen ihre Projekte, Kunst und Ideen. Komm rum!

Einleitung

what's a zine

Soziale Medien und das Internet sind einflussreich und allgegenwärtig. Ob „Technologie“ übernommen und transformiert werden kann oder nicht – selbst wenn wir sie uns außerhalb des kapitalistischen Kontextes vorstellen – ist eine anhaltende Debatte in anarchistischen Kreisen. Vielleicht bist du der Meinung, dass soziale Medien (auch die hier besprochenen anarchistischen Alternativen) und alle ihnen zugrundeliegenden Infrastrukturen zerstört, vergraben und vergessen werden sollten. Vielleicht stellst du dir auch eine Welt vor, in der Computer, Server und Netzwerke vom Kapitalismus getrennt existieren können und eine Möglichkeit darstellen unsere Freiheit eher zu erweitern, anstatt sie zu unterdrücken. Das sind Debatten für ein anderes Zine.

Wie auch immer du zu „Technologie“ stehst, wirst du akzeptieren müssen, dass die meisten Menschen heutzutage in einem gewissen Rahmen soziale Medien nutzen und das gilt auch für die meisten Anarchist:innen. Auch wenn du sie nicht aktiv nutzt, bist du ihnen unweigerlich ausgesetzt. Artikel und Nachrichten in anarchistischen Veröffentlichungen enthalten eingebettete Tweets und die Hauptquelle für Infos zu irgendeinem öffentlichen Event ist ein Facebook Event. Und wenn Menschen vom „öffentlichen Diskurs“ reden, meinen sie bedauerlicherweise meistens „Twitter“.

Viele Anarchist:innen nutzen soziale Medien angeblich, um anarchistische Ideen und Nachrichten zu verbreiten und ein größeres Publikum zu erreichen. Aber es ist genauso üblich, dass sie soziale Medien eher aus „sozialen“ Gründen nutzen, um mit weit entfernten Freund:innen (insbesondere in der Pandemie) in Kontakt zu bleiben. Um Kunst zu teilen. Um sich inspirieren zu lassen. Um sich Memes anzusehen.

Vielleicht sollten sich Anarchist:innen mit lauter Stimme gegen alle netzbasierten Beziehungen aussprechen. Vielleicht. Aber akzeptieren wir, um des Arguments willen, einmal wie dominant soziale Medien derzeit sind, schauen kritisch auf die Art wie Anarchist:innen sie nutzen und entdecken wir Alternativen, die anarchistische Werte deutlich besser widerspiegeln. Wir nutzen alle das Internet und sollten dabei versuchen Infrastrukturen und Werkzeuge zu nutzen, die uns tatsächlich ermächtigen und mit unseren Werten in Einklang stehen, anstatt uns an jene zu verkaufen, die uns eigentlich feindselig gegenüberstehen.

Am Ende des Tages kannst du immer noch all deine Accounts löschen und ein paar Glasfaserkabel sabotieren.

Twitter ist scheiße.

Müssen wir wirklich erklären, warum Social Media-Plattformen der Konzerne verdammt schrecklich sind? Eine kurze Auflistung:

Natürlich gibt es gute Gründe für Anarchist:innen bewusst Konzern-Social-Media zu nutzen. Einige meinen, dass es für Anarchist:innen wichtig sei dort eine Präsenz zu besitzen: Um Menschen außerhalb unserer „Bubble“ zu erreichen und Ideen und Diskurse mit der größtmöglichen Gruppe von Menschen - über geographische, ethnische oder Klassengrenzen hinweg - zu teilen. Viele Menschen nutzen die großen sozialen Medien auch, weil es für sie der einzige Weg ist um mit einer bestimmten Gruppe, ihrer Familie oder alten Freund:innen, in Kontakt zu bleiben. Beides sind berechtigte Gründe die großen kapitalistischen Plattformen zu nutzen, die wir anerkennen.

Aber genauso wie es fair ist zu sagen, dass 50% aller Twitter-Accounts Bots sind, ist es zu sagen, dass 90% der Posts die Anarchist:innen auf Twitter machen nicht anders als all die anderen toxischen Shitposts sind. Zu viele Anarchist:innen haben das Twitter-Verhalten vollkommen verinnerlicht oder sind Instagram-süchtig, geben den Plattformen all die Daten und Aufmerksamkeit die sie wollen, während sie blind für die reale Welt und die Probleme, Menschen und Diskurse außerhalb ihrer kuratierten Timelines werden.

Gated communities

Das „Präsenz zeigen“ mal beiseite, rutschen Anarchist:innen die Konzern-Plattformen nutzen oftmals in dieselben toxischen sozialen Dynamiken, süchtig-machendes Nutzungsverhalten und Lagerdenken zu dem diese Plattformen by design verleiten. Aber es gibt noch ein weiteres Problem: Die großen Social-Media Plattformen sind feindselige Gated Communities. Es ist häufig schwer bis unmöglich sich Inhalte auf ihnen anzusehen ohne einen Account zu besitzen. Selbst diejenigen, die die Plattformen ohne einen Account besuchen, werden als ein weiteres Produkt behandelt, und so umfangreich wie möglich getrackt und ausspioniert. Das trifft ebenfalls zu, wenn Webseiten wie „It’s Going Down“ Tweets in ihre Artikel einbetten, die Twitter erlauben die Leser:innen im ganzen Internet zu tracken. C’mon.

Du kannst Workarounds und Hacks nutzen, sowie Sicherheitsvorkehrungen treffen. Aber letztendlich wollen diese Plattformen nicht, dass du ihre Inhalte siehst, ohne dass sie von dir im Gegenzug bekommen was sie wollen – sie zwingen dich über Hürden und im besten Falle kannst du als Außenseiter:in dann lediglich zusehen aber nicht teilnehmen.

twitter fail

Anarchist:innen können innerhalb dieser Gated Communities, aus den zuvor genannten Gründen, präsent sein. Aber sie sollten niemals unsere primäre Online-Präsenz darstellen. Sie sollten nicht der Ort sein, an dem wir zuerst Nachrichten, Veranstaltungen, Projekte, Erkenntnisse, Kunst oder den Zeitplan für die Buchmessen-Workshops teilen. Es ist absurd, dass so viele von uns ihre besten kreativen und analytischen Arbeiten auf diese geschlossenen Plattformen stellen, die aus ihnen Profit ziehen, und dann unsere Freund:innen, Genoss:innen oder die „anarcho-interessierten“ Menschen zwingen sich zu registrieren und zu verkaufen, nur um die Inhalte sehen und darauf reagieren zu können.

Eine bessere Timeline ist möglich…

Wir plädieren insbesondere dafür, zu bedenken dass, je nach dem wie wir soziale Medien nutzen (sei es um in Kontakt zu bleiben, unsere Ideen zu verbreiten oder Memes zu teilen), wir viel kritischer damit umgehen sollten, dass wir am Ende in den Fallen der großen Social Media-Konzerne landen. Wir sollten uns viel mehr für alternative Online-Strukturen begeistern, die tatsächlich mit unseren Werten und Zielen übereinstimmen.

what's a fediverse

Föderierte soziale Medien

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Das Fediverse ist ein Netzwerk alternativer sozialer Medien, das sich fundamental von den großen kommerziellen Plattformen unterscheidet. Es ist von seiner Struktur her nach einigen sehr anarchistischen Prinzipien organisiert: Dezentralisierung, Autonomie, Föderation, Offenheit und freie Assoziation. Da es diese strukturellen Unterschiede sind, die das Fediverse so kompatibel mit dem Anarchismus machen, ist eine kurze technische Erklärung dieser Unterschiede vonnöten. Sorry. Wir versuchen es kurz zu halten und es gibt auch Bilder.

Es gibt drei Hauptbegriffe: Interoperabilität, Dezentralisierung und Föderation.

Interoperabilität

Für das Verständnis des Fediverse ist das Konzept der Interoperabilität essenziell. E-Mail ist interoperabel. Du kannst G-Mail Nutzer:innen schreiben, auch wenn du riseup.net nutzt (gut für dich btw!). SMS (diese Teile vor WhatsApp und Co.) sind ebenfalls interoperabel. Ganz gleich welchen Netzprovider jemand nutzt, kannst du ihm Textnachrichten senden.

isolated social networks

Die verschiedenen Social-Media-Konzerne sind für gewöhnlich nicht interoperabel. Instagram, Facebook, Twitter, TikTok etc. existieren alle isoliert voneinander. Von deinem Instagram-Account kannst du nicht bei Twitter posten. Auf TikTok kannst du niemandem von deinem Facebook-Account aus folgen oder schreiben (Facebook und Instagram können tatsächlich ein wenig miteinander interagieren, weil sie beide zum Meta-Konzern gehören – das ist aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf Interoperabilität!)

Ganz im Gegensatz dazu ist das Fediverse ein Netzwerk vieler verschiedener Social-Media-Dienste, die alle miteinander kommunizieren können – d.h. interoperabel sind. Bei jedem dieser Dienste handelt es sich um ein eigenes Stück Open-Source Software, das jeweils eine andere Facette von sozialen Medien widerspiegelt (manche mit Text-, Bild- oder Video-Fokus). Die üblichen sind:

common fediverse softwares

… und es gibt noch dutzende weitere. Von einem User-Account aus, kannst du SubMedia’s PeerTube-Account für die neuste „System Fail“-Episode folgen, It’s Going Down’s Mastodon-Account mit den neusten Nachrichten lesen und dir Fotos der neuen wunderschönen Bücher und Zines des sehr ~ästhetischen~ nihilist distro Pixelfed-Account anschauen.

Interoperabilität bricht das Monopol, das eine einzige Software auf ein Netzwerk hat. Nutzer:innen können frei entscheiden, welche Software sie nutzen möchten und sind trotzdem dazu in der Lage mit allen anderen im Fediverse zu interagieren und ihnen zu folgen.

interoperated social networks

Dezentralisierung

Das Fediverse ist auch dezentralisiert. Jedes der kommerziellen sozialen Netzwerke hat einen zentralisierten Server. Du kannst Twitter nur mit einem Account bei Twitter.com nutzen. Das Fediverse besteht aus tausenden verschiedenen Servern, die Instanzen genannt werden. Dank der Interoperabilität können all diese Server miteinander kommunizieren, selbst wenn auf ihnen eine andere Software läuft.

decentralized servers

Alles zusammengedacht… Föderation!

Jede:r kann eine eigene Instanz zum Netzwerk des Fediverse hinzufügen. Ihr könnt die Server-Software wählen die am besten eure Bedürfnisse erfüllt (Mastodon für Microblogging, PeerTube für Videos – oder ihr könntet sogar eure eigene Server-Software schreiben, wenn euch etwas anderes vorschwebt!).

Anstatt eines zentralen Mastodon-Servers und eines zentralen Pixelfed-Servers, existieren tausende von denzentralen Instanzen. Eine Instanz kann klein sein, und nur eine:n Nutzer:in oder eine Gruppe von Freund:innen beherbergen, oder eine riesige verteilte Online-Community hosten.

Als Nutzer:in hast du einen Account auf einer Instanz, deiner Home-Instanz. Dies ist, wo du dich einloggst, deine Timeline checkst und neue Nachrichten verfasst. Aber all die verschiedenen Instanzen förderieren miteinander, ganz gleich auf welcher Server-Software sie basieren. Sie nutzen dafür ein offenes Protokoll namens ActivityPub.

activiy_pug

Die Föderation erlaubt es Nutzer:innen auf egal welcher Instanz, Nutzer:innen auf anderen Instanzen zu folgen oder mit ihnen zu interagieren. Und das ganze Netzwerk, aus Nutzer:innen die auf verschiedenen Servern sitzen, auf denen verschiedene Software läuft, ist das Fediverse!

federated

Ein paar Gedanken

Warum ist das so wichtig für Anarchist:innen? Wenn wir nach Wegen suchen um online zu kommunizieren, uns zu vernetzen, zu veröffentlichen oder Informationen zu teilen, sollten wir Werkzeuge nutzen, die tatsächlich für diese Zwecke entworfen wurden. Kommerzielle soziale Netzwerke wurden entworfen um Daten und Aufmerksamkeit von Nutzer:innen zu generieren – sie bieten nur ein glänzendes, süchtig-machendes soziales Netzwerk oder eine Veröffentlichungsplattform um uns anzulocken, damit wir diese Daten für sie generieren.

Das Fediverse hingegen existiert um ein tatsächliches soziales Netzwerk zu bieten – ein Ort um uns zu vernetzen oder Informationen zu teilen, mit unseren bestehenden sozialen Kontakten, oder um neue zu finden. Das Fediverse basiert von seiner Struktur her auf anarchistischen Prinzipien wie freier Assoziation/ Affinität, Autonomie und… Föderation. Kein Unternehmen kontrolliert die Software, die mit dem Fediverse kompatibel ist und auch nicht die Instanzen aus denen es sich zusammensetzt. Instanzen können von Individuen oder Kollektiven betrieben werden und folgen den Zielen und Richtlinien, die sie für sich wählen. Jede Instanz des Fediverse ist komplett autonom hinsichtlich der Server-Software, die sie nutzt, den Nutzer:innen die sie beherbergt, ihrer Moderations-Politik, wie ihre physischen Server gewartet werden etc. Wir können sogar unsere eigene Software für Fediverse-Instanzen erstellen, sollte nichts unseren derzeitigen Bedürfnissen entsprechen (es gibt bereits einen großen Anteil an antifaschistischen, queeren und Trans-Entwickler:innen, die zu bestehender Software beitragen oder neue entwickeln, die Features besitzt, die sie sich wünschen).

Im Fediverse kannst du eine Instanz wählen (oder eine eigene erstellen), die die internen und externen Moderationskriterien anwendet, mit denen du dich wohlfühlst. Instanzen legen ihre eigenen Regeln bezüglich der Moderation des Nutzer:innenverhaltens und der Inhalte fest. Dies bezieht sich ebenfalls auf die Interaktion mit anderen Instanzen, die möglicherweise übergriffige oder toxische Nutzer:innen beherbergen. Instanzen können sich dazu entscheiden, sich von solchen Instanzen wenn nötig komplett zu entkoppeln („deföderieren“).

Jede:r ist frei, auf eine andere Instanz zu wechseln oder seine eigene zu starten und trotzdem Teil desselben Fediverse zu bleiben, ohne durch die strukturellen Elemente herkömmlicher sozialer Medien – Isolation und Monopol – ausgeschlossen zu werden. Nutzer:innen haben deutlich mehr Kontrolle über ihre eigene Erfahrung und die einzigen Schranken sind die selbstbestimmt festgelegten Regeln jeder Instanz.

Das Fediverse ist dennoch standardmäßig keine gated community. Nutzer:innen haben die Möglichkeit ihre Privatsphäre mit feingestuften Einstellungen zu kontrollieren. Öffentliche Posts oder Profile, die darauf aus sind gut zugänglich zu sein, sind trotzdem für jede:n mit einem simplen Webbrowser einfach zu erreichen. Verglichen mit den großen Plattformen ist das Fediverse eine viel zugänglichere Plattform (und einfacher nutzbar als einen Blog aufzusetzen). Die Hardware-Anforderungen um Inhalte im Fediverse zu lesen oder anzuschauen sind sehr gering, was die Zugänglichkeit für Menschen mit älteren Handys und Computern oder langsamer Internetverbindung verbessert. Leser:innen werden nicht getrackt oder dazu aufgefordert sich zu registrieren, nur um einen öffentlichen Post anzusehen. Und wenn sich Menschen dazu entscheiden, sich zu registrieren, dann sind sie nicht darauf beschränkt dieselbe Software oder Instanz zu nutzen wie du. Sie sind frei auf Basis ihrer eigenen Bedürfnisse und Vorlieben zu entscheiden.

Das Fediverse nutzen

Das Fediverse zu verstehen kann Anfangs etwas verwirrend sein. Was ist meine Home-Instanz? Ist dieser Mensch auf einem anderen Server? Was ist der Unterschied zwischen Mastodon, Pleroma und Pixelfeld und wie wähle ich die zu mir passende? Ja, es kann anfangs erschreckend sein. Aber wir denken nicht, dass das notwendigerweise etwas schlechtes ist. Nutzer:innen sollten dazu befähigt werden zu verstehen, wie das Ganze funktioniert, wenn sie sich mit etwas potenziell belastendem wie Social Media und dem Internet auseinandersetzen. Für uns scheint das eine bessere anarchistische Praxis zu sein, als bloß die geschliffenen und süchtig-machenden Produkte der großen Plattformen zu akzeptieren, die von allen technologischen Grundlagen und Folgen abstrahieren.

An dieser Stelle können wir nicht jedes Detail, welches du zur Nutzung des Fediverse wissen musst, erklären. Wir versuchen einen kurzen Überblick über die Nutzung des Fediverse zu geben um dich zu ermutigen es einfach mal auszuprobieren.

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Mastodon nutzen

Ab hier setzen wir einen Fokus auf Mastodon, das allerdings nur einen Teil des Fediverse ausmacht. Es ist die populärste Software, die für neue Nutzer:innen am reibungslosesten funktioniert, und mit der wir am meisten vertraut sind. Mastodon wird von Millionen Menschen genutzt und es gibt tausende großer und kleiner Instanzen. Seine Oberfläche ist nutzer:innenfreundlich und es gibt zahlreiche mobile Apps dafür. Der Umgang mit anderen Fediverse-Softwares wird ähnlich, aber ein bisschen anders, sein!

Mastodon wurde für das „Microblogging“ entwickelt. Es sieht in etwa so aus als hätten Twitter und Tumblr ein Baby. Du kannst auf einzelne Posts antworten, sie liken/favorisieren oder teilen („boosten“). Der größte Unterschied, der dir direkt auffallen wird, ist das Fehlen eines Algorithmus, der dir süßen, leckeren Content liefert. Wenn du das erste mal einer Instanz beitrittst zeigt dir Mastodon gegebenenfalls ein paar Accounts an denen du folgen könntest. Aber darüber hinaus wird in deiner persönlichen Timeline erstmal gähnende Leere herrschen. Mastodon wird dir keine Posts vorschlagen. Es wird dir keine „Menschen die du vielleicht kennst“ zeigen (weil es dich nicht auf gruselige Weise ausspioniert, um herauszufinden wer sonst in deiner Nähe Mastodon nutzt).

Viele von uns sind daran gewöhnt, Social Media lediglich passiv zu konsumieren. Der Algorithmus liefert lustige Memes, süße Tiere, Hot Takes und Bad Takes um dich zu reizen. Wenn du anfängst Mastodon zu nutzen kann das erstmal ein Kulturschock sein. Plötzlich muss ich selbst entscheiden, was ich sehen möchte?? Du wirst keine Flut an Inhalten einer „Entdecken“ oder „Für dich“-Seite finden. Das mag komisch wirken aber wir würden sagen, dass das eine gute Sache ist. Die Schattenseiten des „Algorithmus“ sind mittlerweile wohlbekannt. Das Fediverse gibt dir Kontrolle und Autonomie zurück. Du kannst bewusst entscheiden, was in deiner Timeline angezeigt werden soll. Nutze sie aktiv um, du weist schon, sozial zu sein (auf die Weise, die für dich die beste ist), ohne dazu ermutigt zu werden lediglich passiv zu konsumieren.

Nutzer:innen die auf derselben Instanz wie du sind, werden für dich am sichtbarsten sein. Es gibt eine „Lokale Zeitleiste“, die nur die öffentlichen Posts der Nutzer:innen deiner Instanz beinhaltet. Sie kann ein guter Startpunkt zum erkunden sein. Sie ist ein gutes Feature für Instanzen die sich um eine bereits bestehende Community gebildet haben oder sich an bestimmten Interessen ausrichten. Es gibt jedoch auch eine „Globale Zeitleiste“, die dir alle öffentlichen Posts des gesamten Fediverse anzeigt. Diese Zeitleisten sind nicht algorithmisch erstellt, sondern basieren auf deiner lokalen Fediverse-“Geographie“ – den Nutzer:innen auf deiner Instanz und Nutzer:innen von Instanzen, mit denen erstere häufig interagieren.

Wenn du deine persönliche Zeitleiste füllen möchtest, wirst du anderen Accounts selbstständig folgen müssen – vielleicht deinen Freund:innen oder du fängst an das Fediverse etwas zu erkunden und schaust nach Accounts von coolen Projekten oder solchen, die deine Interessen teilen. Der Nutzen den du herausziehst, hängt davon ab wie viel du „hineinsteckst“. Denk dran, es geht hier nicht darum, in einen unendlichen suchterzeugenden „Doomscroll“ zu geraten. Ohne einen Algorithmus, mit einer ruhigeren Timeline wird es deutlich leichter kurz mal reinzuschauen, um zu sehen was es bezüglich der Dinge die dich tatsächlich bewegen Neues gibt, und dich dann wieder auszuloggen.

Mastodon besitzt einige neuartige benutzer:innenfreundliche Features, die es wert sind kurz hervorgehoben zu werden. Du kannst ganz einfach Inhaltswarnungen und Bildbeschreibungen hinzufügen. Für jeden Post kannst du individuell die Privatsphäre festlegen (Direktnachricht, Nur für Folgende, Ungelistet, Öffentlich und manchmal auch nur-für-die-eigene-Instanz-sichtbar) und es gibt viele Sicherheits- und Filter-Einstellungen mehr – zu viele um sie hier aufzuführen. Der Grad der Kontrolle den du als Nutzer:in hast, kann am Anfang etwas beängstigend sein, aber letztendlich führt es zu einem bewussteren Umgang mit der eigenen Sicherheit im Netz, die über das was kommerzielle Plattformen bieten hinaus geht.

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Wo registriere ich mich jetzt? Also, wo zur Hölle melde ich mich an?

An diesem Punkt bist du vielleicht überzeugt es mal zu probieren und suchst in deinem App Store nach „Mastodon“ oder „Fediverse“ oder gehst auf mastodon.com (die sich absurderweise weder mit der Metal Band noch dem Fediverse beschäftigt!). Moment! So registrierst du kein Konto im Fediverse! Erinnerst du dich an das ganze Gelaber von wegen Instanzen, Dezentralisierung und so weiter, das du womöglich überflogen hast? Du musst zuerst eine Instanz finden, auf der du dein Konto eröffnen kannst (sofern du keine eigene Instanz starten möchtest – mehr dazu später!). Es gibt viele kleinere Instanzen, für die du womöglich eine Einladung brauchst oder die sich mit speziellen Themen befassen. Der Beste Weg für den Einstieg ist es, dich auf einer großen Instanz zu registrieren, die offen für neue Nutzer:innen ist. Sobald du dich zurechtgefunden hast, fällt dir vielleicht auf, dass einige deiner Freund:innen oder Menschen mit denen du Vorlieben teilst auf kleineren Instanzen sind. Du kannst mit deinem Konto ganz einfach umziehen und viele Leute springen ein paar mal von Instanz zu Instanz, bis sie einen Ort gefunden haben, an dem sich sich vollends wohlfühlen!

Aktuell ist kolektiva.social eine anarchistische Mastodon-Instanz, die versucht ein Landepunkt für neue anarchistische Fediverse-Nutzer:innen zu sein. Das wäre also beispielsweise ein guter Ort um sich zu registrieren. Um dir im Fediverse einen Account anzulegen, musst du auf die Webseite der Instanz gehen und dich dort registrieren.

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Wenn du lieber eine Smartphone-App nutzen möchtest, gibt es einige zur Auswahl (wir empfehlen Toot! oder metatext für iOS und Tusky oder Fedilab für Android) aber du musst dir bevor du die App nutzen kannst einen Account auf der Instanz erstellen. Denk dran, im Fediverse besteht dein Nutzername aus zwei Teilen. Dein Nutzername und deine Instanz (@fedizine@kolektiva.social) – Beides musst du in der App eingeben um dich einzuloggen. Wenn du die Angabe deiner Instanz vergisst, weiß deine App nicht wo dein Account wohnt!

Was das Fediverse nicht ist

Es ist wichtig ein paar Missverständnisse und Vorbehalte bezüglich des Fediverse anzusprechen.

„Aber ich habe gehört, dass die Admins deine DMs lesen können…“

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Das Fediverse ist kein sicheres, verschlüsseltes Chat-Tool. Nur weil wir sagen, dass es gut für Anarchist:innen geeignet ist, heißt das nicht, dass es ein sicheres Tool zum organisieren ist oder um irgendwelche Aktionen zu starten. Es ist immer noch Social Media und du solltest es auch so behandeln. Was auch immer du öffentlich postest ist genau das: öffentlich. Ja, Direktnachrichten sind zum aktuellen Zeitpunkt nicht verschlüsselt, weil es durch die Föderation schwer zu implementieren ist. Dies trifft grundsätzlich auch auf alle kommerziellen Plattformen zu, die du ebenfalls nicht für Dinge nutzen solltest, bei denen du auf Privatsphäre oder Sicherheit angewiesen bist (denkst du Twitter kann deine DMs nicht lesen?). Wenn du sichere Kommunikation suchst, ist das Fediverse nicht der richtige Ort und es gibt bestimmt ein anderes Zine, das du dafür lesen solltest.

Es sollte erwähnt werden, dass es tatsächlich leichter ist mit Tools wie Tor, im Fediverse zu stöbern oder sich einen anonymen Account anzulegen. Einen anonymen Twitter oder Instagram-Account anzulegen kann kompliziert bis unmöglich sein. Bei Mastodon hingegen ist es einfach.

Das Nazi-Problem

Sagten wir das Fediverse sei resilient gegenüber Zensur? Ja, es gibt im Fediverse Nazis und Rechtsextreme Meinungsfreiheits-“Aktivist:innen“. Aus demselben Grund, aus dem das Fediverse für Anarchist:innen interessant geworden ist, als sie von Facebook geschmissen wurden, sind Trolle und Faschos zeitweilig ins Fediverse geströmt. Aber es ist ein geringeres Problem als du womöglich denkst. Mastodon hat bessere Tools zum blocken und filtern auf Nutzer:innen-Ebene als die großen Social Media-Plattformen und Instanzen können sich entscheiden, mit welchen anderen Instanzen sie sich förderieren oder von welchen sie sich abkoppeln wollen. Die meisten Instanzen haben kein Interesse daran von Nazis und Co belästigt zu werden und entkoppeln sich von deren Instanzen. Verschiedene Instanz-Admins, die eine ähnliche Politik verfolgen, arbeiten zusammen um sich gegenseitig vor neuen Instanzen zu warnen, die beispielsweise Hass verbreiten oder Queer- und Transpersonen trollen, sodass diese schon vorbeugend geblockt werden können.

Im Gegensatz zu den kommerziellen Plattformen sind wir hinsichtlich der Moderation weder auf die Gnade der Konzernlenker:innen angewiesen, noch in einer Situation in der unterbezahlte outgesourcte Arbeiter:innen sich durch Unmengen anstößiger Inhalte wühlen müssen. Wir haben die Moderation selbst in der Hand und können uns, wenn wir wollen, ganz einfach von problematischen Instanzen abkoppeln. Wenn nötig, kann jede Instanz für sich selbst interne und externe Moderationskriterien festlegen und darüber entscheiden, wie diese umgesetzt werden sollen.

Mach dein eigenes Ding

Einer großen, etablierten Instanz beizutreten, kann ein guter Weg sein um ins Fediverse einzusteigen und Corporate-Social Media hinter sich zu lassen. Aber wir sollten am Ende nicht alle auf der einen großen Anarcho-Instanz landen (stell dir die Moderations-Probleme vor!). Der Vorteil des Fediverse liegt in der Dezentralisierung. Es ist also wichtig, dass Leute sich dazu ermächtigen einfach ihre eigenen Instanzen an den Start zu bringen, auf denen sie sich selbst, ihre Freund:innen und Projekte hosten können. Derzeit benötigt es einiges an technischem Know-How um eine eigene Instanz zu starten. Du brauchst Grundkenntnisse im Bereich von Netzwerken und Systemadministration. Und vermutlich ein wenig Linux.

Aber letztlich ist das für jede:n die:der es lernen möchte in greifbarer Nähe und es wird ständig einfacher. Sich diese Fähigkeiten anzueignen ist auch Teil der Stärkung von Autonomie und Ermächtigung unserer Gemeinschaften. Wenn wir soziale Netzwerke nutzen um zu kommunizieren, uns zu koordinieren und unsere Ideen zu verbreiten, dann sollten wir auch die Infrastruktur kontrollieren auf der sie laufen.

Fallstudie: Wir haben eine eigene Instanz erstellt

Nach ein paar Monaten auf kolektiva.social haben wir unsere eigene Instanz gestartet und sind mit unseren Accounts dorthin umgezogen. Anfangs haben wir nur ein paar engere Freund:innen eingeladen beizutreten. Kurze Zeit später haben wir dann angefangen Freund:innen und Bekannte mittels Flyer einzuladen, die wir bei einer lokalen Punk Show verteilt haben.

Die Instanz besteht nun seit fast einem Jahr und ist auf 135 Nutzer:innen angewachsen, die allesamt Teil unserer Reallife-Community sind. Alle sind über ein paar Ecken miteinander verbunden und so gab es bisher keine Moderationsprobleme (davon abgesehen ist jede:r ziemlich cool und nett).

Die Leute teilen Infos zu lokalen Events, Nachrichten, Kunst, Musik, persönliche Updates und Rants, Kleinanzeigen, Graffiti-Sichtungen etc.! Unsere Instanz besteht aus unserer Reallife-Community, also existiert der Vibe eines dramafreien Message Boards. Aber wir sind auch mit unseren Nachbar:innen im Fediverse, so wie kolektiva.social oder anderen anarchistischen Instanzen (Hi an die nihilistische Instanz!), verbunden. Einige von uns wagen sich hinaus ins Fediverse und verbinden sich mit zahlreichen Accounts anderer Instanzen um Nachrichten und Meinungen von anderen Orten zu erhalten oder einfach um neue Freund:innen zu treffen und kennenzulernen. Es fühlt sich sehr gut an zu wissen, dass wir selbst darüber entscheiden, was wir mit unserer Instanz machen wollen, aber gleichzeitig mit einem riesigen Fediverse dem jeder beitreten kann, verbunden zu sein.

Fediverse-Anleitungen und Hilfsmittel

Eine tiefergehende Anleitung zur Nutzung des Fediverse (Danke an @elillia@transmom.love)!

joinmastodon.org  –  Mastodons Dokumentation

fediverse.party  –  eine riesige Liste von Fediverse-Software und Tools

joinfediverse.wiki  –  eine gemeinschaftliche Sammlung für das Fediverse

runyourown.social  –  eine Anleitung zum betreiben einer eigenen Instanz

fedi.tips

Ideen für deine neue Instanz

Kontakt zu den Autor:innen

Im Fediverse:
@fedizine@kolektiva.social

Oder per E-Mail: fedizine (a) riseup.net

Geschrieben, überarbeitet, designet und gedruckt auf nicht-abgetretenem Heimatgebiet der Kanien’kehà:ka.

Veröffentlicht als Zine für die Montréal Anarchist Bookfair, August 2022.

Übersetzt im November 2022.

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